Designbutik in den Niederlanden 4: Gerrit Thomas Rietveld
 

30.07.2014Designbutik in den Niederlanden 4: Gerrit Thomas Rietveld

Der zeitlebens in Utrecht ansässige und arbeitende Rietveld realisierte in seiner Heimatstadt auch sein erstes Gebäude, nachdem er zuvor als Kunstschreiner in erster Linie Inneneinrichtungen und Möbel gestaltet hatte. Die jung verwitwete Truus Schröder-Schrader beauftragte Rietveld um 1924 mit dem Bau eines kleinen Hauses am Stadtrand. Nach einem ersten, kubisch und nach aussen hin geschlossen wirkenden Entwurf, der ihr nicht zusagte, erarbeitete sie, die selbst Innenarchitektin war, mit Rietveld weitere Entwürfe, aus denen eine offenere Struktur resultierte, deren begrenzende Flächen quasi in den Raum hineinragten.

Die Vorstellung, Wand-, Stützen- und Fensterpartien eine Gebäudes nur als vorübergehende Manifestationen im unendlichen Raum begreifen zu müssen, wurde auch in der Innenraumgestaltung des eigentlichen Wohngeschosses in der ersten Etage weitergeführt. Klapp- und schwenkbare Zimmerwände konnten versenkt werden, so dass mit wenigen Handgriffen die kleine Vierzimmerwohnung in einen einzigen Wohnraum transformiert werden konnte. Selbst das über das Gebäudeeck verlaufende Fenster beim Essplatz konnte durchgehend geöffnet werden, ohne dass eine Stütze den Innen- vom Aussenraum getrennt hätte. Dass dieses Bauvorhaben überhaupt bewilligt wurde, verdankte Rietveld einem Trick, nämlich das Obergeschoss fälschlicherweise als grosszügigen Dachboden zu deklarieren.

Dass sich auf diesem Dachboden gut leben liess bewies in den ersten Jahren nicht nur die vierköpfige Familie , sondern später auch die Tatsache, dass Truus Schröder bis zu ihrem Tod Mitte der achtziger Jahre im Haus lebte. Gerrit Rietveld selber, richtete sich nach der Fertigstellung 1924 im Erdgeschoss sein Architekturbüro ein und zog nach dem Tod seiner Frau in den fünfziger Jahren ganz in das Haus seiner langjährigen Geliebten ein und starb dort 1964. Um 1990 wurde das Haus in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt und restauriert – leider wurden bei dieser Gelegenheit auch neue Industrieglasfenster eingesetzt, die der äusseren Erscheinung des Hauses nicht gerade zuträglich sind.

1951 erhielt Rietveld sowohl in Amsterdam als auch Arnhem den Auftrag für den Entwurf einer Hochschule für angewandte Kunst. Da die Anforderungen weitgehend dieselben waren, gestaltete Rietveld zwei sich in vielerlei Hinsicht ähnliche Gebäudekomplexe. Für das äussere Erscheinungsbild massgebend waren umfassende Fensterwände, die – wie der Bau insgesamt – ein Raster mit 2.10m Seitenlänge aufwiesen und auf die eigentlich tragenden Struktur aufgesetzt waren. Anders als bei vielen früheren Formen der curtain wall, überspannten die Fensterflächen die gesamten Fassaden des Gebäudes, so dass ihre Strukturierung praktisch alleine durch die Fensterfugen zustande kam. Die Tragstruktur aus Stahlbeton liess sich dahinter immerhin erahnen.

Die Fenster bildeten denn auch die meisten Schwierigkeiten. Das früher fertig gestellte Gebäude in Arnhem musste wegen undichten Stellen mehrfach nachgebessert werden. Für den erst 1964 begonnenen Bau in Amsterdam konnte man von diesen Erfahrungen profitieren, musste aber ohne Rietveld auskommen, der noch im selben Jahr verstarb. Seine Mitarbeiter Johan van Dillen und Johan van Tricht übernahmen die Ausführung des in den späten sechziger Jahren fertiggestellten Baus, der heute die Gerrit Rietveld Academy beherbergt.

Die Gerriet Rietveld Academy in Amsterdam

Hauptgebäude auf der linken Seite, Werkstättentrakt mit Sheddach in der Mitte und Ausstellungspavillon zur Rechten.

Der „Fenstervorhang“ hängt am Stahlbetonskelett.

Revolt Chair von Friso Kramer.