5.04.2013Designbutik zu Besuch in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart
Die handgezeichnete Postkarte von Rudolf Christ zeigt Teile der 1927 unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe innert nur gut drei Monaten errichteten Werkbundsiedlung am Weissenhof. Zu den beteiligten Architekten gehörten neben Mies weitere prominente Vertreter des Neuen Bauens wie Le Corbusier und Pierre Jeanneret, die Holländer J. J. P. Oud und Mart Stam, Walter Gropius, Hans Scharoun und andere mehr. Im Gegensatz zu diesen gehörte der Basler Architekt Christ, der Anfang der zwanziger Jahre im Büro von Paul Bonatz gearbeitet hatte und mit diesem später das umstrittene Basler Kunstmuseum baute, zu einer weniger progressiven Gruppe von Architekten, die sich an traditionellen Bauformen orientierte. Entsprechend kritisiert er im Postkartentext die ungemütlichen Musterwohnungen Le Corbusiers. Tatsächlich verlangte dessen Vorschlag den Besuchern einiges an Vorstellungskraft ab und es dauerte ein Jahr bis 1928 endlich ein Mieter gefunden werden konnte: Der im ersten Obergeschoss untergebrachte mehrteilige Wohnraum sollte am Tag als Wohnzimmer und in der Nacht als Schlafzimmer dienen. Die Inspiration für diese Transformationsidee soll dem viel gereisten Le Corbusier im Zug gekommen sein, wo Sitze und Tisch weggeklappt bzw. zum Bett umgebaut werden konnten. Entsprechend konnten die extra von Alfred Roth – der auch die Bauarbeiten vor Ort leitete – entworfenen Betten auf Stahlrohrbügeln am Abend aus den gemauerten Schränken hervorgezogen werden. Um das Kinderzimmer vom Elternschlafzimmer zu trennen, wurde eine Schiebetüre hervorgezogen, die exakt zwischen die Doppelstahlträger passte. Um in der Nacht einen separaten Zugang vom so abgetrennten Zimmer zur Toilette zu gewährleisten, wurde ein nur gerade siebzig Zentimeter breiter Korridor angelegt, der während der Ausstellung 1927 viel zu reden gab und zu langen Warteschlangen führte. Viel Platz und eine ausgezeichnete Aussicht bot dagegen die Dachterrasse mit Garten, die gemäss Le Corbusiers fünf Punkte-Programm (siehe Eintrag zur Villa della Rocca) angelegt wurde. Später wusste man diesen Freiraum nicht mehr zu schätzen: Die Terasse wurde zu einem zusätzlichen Wohnraum umgebaut und im ersten Obergeschoss wurden die Grundrisse und damit auch die vorgesehene Nutzung der Räume nach und nach vollständig verändert. Erst 2006 wurde die rechte Haushälfte nach langjähriger Sanierung wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt, während im linken Gebäudeteil ein Museum zur Weissenhofsiedlung eingerichtet wurde.
Die Reihenhäuser von J.J.P. Oud: Rückseite mit Garten und Eingang direkt ins Wohnzimmer.
Ludwig Mies van der Rohes Wohnblock: Hier richtete das Schweizer Kollektiv des SWB Musterwohnungen mit Möbeln ein, die mehrheitlich von Max Ernst Haefeli stammten.
Die Reihenhäuser von Mart Stam, der hier unter anderem seine Erfindung – den hinterbeinlosen Kragstuhl – präsentierte.